Winterlesungen

In dem von Harald Kunde initiierten Veranstaltungsformat Winterlesungen wird von unterschiedlichen Lesern jeweils ein Buch im Museum Kurhaus Kleve vorgestellt. Gerne unterstützen wir mit Vortragenden aus unseren Reihen das seit mehreren Jahren erfolgreiche Format der Winterlesungen des MKK, das im Rahmen eines Leitthemas in wöchentlichem Rhythmus stattfindet. Den teilnehmenden Lesern werden bei der kreativen Ausgestaltung ihres Vortrags keine Grenzen gesetzt. Das ist das Erfolgsmodell.

Winterlesungen 2025

Wendepunkte - Von der Freiheit der Wahl

Informationen folgen in Kürze

Winterlesungen 2024

Lebensbücher

Seit über fünf Jahren lockt das Veranstaltungsformat der Winterlesungen von Mitte Januar bis Mitte Februar Literaturfreunde und Sinnsucher aller Couleur ins Museum Kurhaus Kleve. Unter einem jährlich wechselnden Motto stellen dabei Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Kleve ihre Auswahl im Wechsel von Rezitation, erläuterndem Kommentar und kunstgeschichtlicher Visualisierung einem interessierten Publikum vor. Dadurch prägt der individuelle Zugriff der Vortragenden den jeweiligen Abend ebenso wie die ausgewählten Stoffe der Weltliteratur. Im Jahr 2024 soll es unter dem Titel Lebensbücher um Literatur gehen, die in verschiedenen Phasen des Daseins die Vortragenden immer wieder beschäftigt hat, die sie mehrfach und vielleicht auch mit divergierenden Einsichten gelesen haben. Kurzum: um lebensprägende Begleiter.

Uwe Johnson: Jahrestage.

Aus dem Leben von Gesine Cresspahl, 1970-83

Den Auftakt der Reihe gestaltet Museumsdirektor Harald Kunde, der sich diesmal dem vierbändigen Hauptwerk des singulären Schriftstellers Uwe Johnson (1934-1984) widmet. An 365 Tagen der Jahre 1967/68 erzählt darin die Hauptperson Gesine Cresspahl ihrer 10jährigen Tochter Marie von New York aus ihr Leben für wenn ich tot bin und verschränkt dabei auf einzigartige Weise Zeit-, Sozial-, Politik- und Familiengeschichte miteinander. Dieses vielstimmige Panorama des 20. Jahrhunderts fasziniert sowohl durch große menschliche Nähe zu Personen und Orten als auch durch das unbestechliche Einschätzungsvermögen des epischen Chronisten Johnson, dessen biografische Prägungen in Ost und West ihn zum exemplarischen Dichter beider Deutschlands qualifiziert haben. Die Intensität seines Erzählens behauptet sich auch im 90. Geburts- und im 40. Todesjahr des Autors durch lebendige Frische und komplexe Prägnanz.(11.01.2024, 19.30h)

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern.

Erinnerungen eines Europäers

Die Historikerin Anne-Katrin Kunde stellt das autobiografische Epochenbuch des großen Erzählers und völkerverbindenden Intellektuellen Stefan Zweig (1881-1942) vor, dass dieser während seines Exils unmittelbar vor seinem Freitod im brasilianischen Petròpolis fertigstellen konnte. Es versteht sich als weitgespanntes Resümee des kulturgeprägten Zeitalters vor dem ersten Weltkrieg im habsburgischen Wien und in den Zwischenkriegsmetropolen Paris und Berlin. Es ist geprägt von zahlreichen intensiven Begegnungen mit Dichtern, bildenden Künstlern und Musikern und eröffnet zugleich tiefere Einsichten in die damaligen Lebensbereiche der Mode, des Erziehungssystems und der Sexualmoral. Vor allem aber legt es beredtes Zeugnis ab von der epochalen Zäsur, die diese Welt von Gestern von der Barbarei der totalitären Systeme des Nationalsozialismus und des Stalinismus unterscheidet und benennt die damit verbundenen kulturellen Verluste als irreversibel. (Do 18.01.2024, 19.30h)

Daniel Defoe: Robinson Crusoe

Kunstfreund und Freundeskreisvorstandsmitglied Hubert Wanders widmet sich dem 1719 erstmals erschienenen Weltbestseller, der seitdem in verschiedensten Übersetzungen und Bearbeitungen unser kollektives Bewusstsein bereichert. Im Zentrum steht dabei immer das durch Schiffbruch gestrandete Individuum, das in räumlicher und sozialer Totalisolation sein Überleben sichert und dafür alle ihm zu Gebote stehenden zivilisatorischen Standards neu erfinden und anwenden muss. Durch die späte Begegnung mit dem Indigenen namens Freitag verändert sich diese Konstellation dann grundlegend; sowohl der koloniale Kontext der Entstehungszeit als auch die Perspektivwechsel der postkolonialen Aufarbeitung wirken dabei bis heute fort. In der ihm eigenen bewährten Weise wird Hubert Wanders diese komplexe Thematik in einer reichen Bildauswahl veranschaulichen, die anhand von signifikanten kunsthistorischen Darstellungen die Faszination und den Schrecken aller Robinsonaden eindringlich vor Augen führt. (25.01.2024, 19.30h)

Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz

(1962/1969/1973)

(01.02.2024, 19.30h / Oliver Locker-Grütjen)

Helmuth James von Moltke: Briefe an Freya

Abschiedsbriefe aus dem Gefängnis Tegel (1939-45)

(07.02.2024, 19.30h / Ludger Kazmierczak)

Winterlesungen 2023

Krieg und Frieden

Auch im Jahr 2023 wird das beliebte Format der Winterlesungen im MKK fortgesetzt. Dabei stellen Protagonisten des kulturellen Klever Lebens in eigener Auswahl Texte der Weltliteratur vor und bringen sie auf je individuelle Weise zu Gehör. Diesmal wird es um das elementare Thema Krieg und Frieden gehen, dessen bedrückende Realität seit jeher in Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung reflektiert wird und das durchaus als Gradmesser des Zivilisationsprozesses betrachtet werden kann.
 
 

Thukydides: Der Peloponnesische Krieg

Den Auftakt gibt Museumsdirektor Harald Kunde mit einem Klassiker der antiken Geschichtsschreibung. Die acht Bücher über den Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.) des athenischen Strategen und Historikers Thukydides gelten bis heute als Geburtsstunde einer auf Objektivität zielenden Berichterstattung über Ursachen und Hintergründe kriegerischer Auseinandersetzungen. Dabei konzentriert sich die Auswahl der gelesenen Textpassagen weniger an den Details dieses Großkonflikts zwischen der Seemacht Athen und der Landmacht Sparta, sondern spürt den Aussagen über die Natur des Menschen ebenso nach wie exemplarischen machtpolitischen Zuspitzungen etwa im sogenannten Melier-Dialog.(12.01.2023)
 

Christine de Pizan: Die Stadt der Frauen

Die venezianisch-französische Philosophin Christine de Pizan (1364-1429) gilt als die erfolgreichste Schriftstellerin des Mittelalters. Nach dem Tod ihres Ehemanns gelang es ihr, durch ihr literarisches Schaffen für den Unterhalt ihrer Kinder sowie der gesamten Familie zu sorgen. Sie schuf ein umfassendes lyrisches Œuvre, verfasste ein Erziehungsbuch für Kinder, aber auch lehrhaft-philosophische Werke und politisch motivierte Schriften. Am bekanntesten ist heute jedoch ihr „Buch von der Stadt der Frauen“, in dem sie als Gegenentwurf zur patriarchalen Gesellschaft ihrer Zeit, die wesentlich durch die Bürgerkriege in Frankreich geprägt war, ein rein weibliches Universum erschuf und es mit Göttinnen, Philosophinnen, Kriegerinnen und anderen Frauengestalten bevölkerte, die im Zuge der Lesung durch die Mediävistin Anne-Katrin Kunde vorgestellt werden.(19.01.2023)
 

Georg Büchner: Dantons Tod

Die Jakobinerdiktatur in der Spätphase der Französischen Revolution bildet den historischen Hintergrund für das im Jahr 1835 verfasste Drama Georg Büchners, das exemplarisch das Umschlagen ursprünglich freiheitlicher Ideale in Willkürherrschaft und Tugendterror untersucht. Aus der personalen Konfliktkonstellation zwischen Danton und Robespierre entwickelt sich dabei eine übergreifende Reflexion zu Handlungsmöglichkeiten des Subjekts in seiner Zeit, die für uns Heutige ebenso brisant ist wie für Büchners antiabsolutistische Vormärz-Bewegung. In bewährter Verschränkung zwischen Text- und Bilddokumenten wird Kunstfreund Hubert Wanders einen facettenreichen Blick auf diesen explosiven Stoff werfen, der seit seiner Entstehung immer wieder neu inszeniert und verfilmt worden ist.(26.01.2023)
 

Lew N. Tolstoij: Krieg und Frieden

Der Moderator und Journalist Ludger Kazmierczak wagt sich an ein episches Riesen-Opus, dass weltweit als eines der Hauptwerke des realistischen Erzählens gilt und der diesjährigen Reihe der Winterlesungen den übergreifenden Titel leiht. Angelegt als gigantisches Historiengemälde, untersucht Tolstoij in seinem 1869 erschienenen Roman die engmaschigen Verknüpfungen zwischen gesellschaftlichen, familiären und kriegerischen Handlungssträngen im Umfeld der russischen Befreiungskriege gegen die napoleonische Invasion. Dabei entwickelt er ein stupendes Panorama der Lebensverhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts, das sowohl aristokratische Vergnügungen wie Bälle, Jagden und Schlittenfahrten beschreibt als auch minutiöse Schlachtenschilderungen und unverstellte Blicke auf soziale Polarisierungen liefert. Unter heutigem Blickwinkel besonders interessant sind dabei zweifellos die zivilisatorischen Unterschiede zwischen Frankreich und Russland sowie die dortige Spaltung in slawophile Traditionalisten und westlich ausgerichtete Modernisierer.(02.02.2023)

 

Pace. Musik zwischen Krieg und Frieden:

ein Auszug aus 40 Werkportraits

Der Präsident der Hochschule Rhein-Waal, Oliver Locker-Grütjen, beschließt die Winterlesungen mit einem Ausflug in musikalische Gefilde. Aus einer Anthologie von Stefan Hanheide wird er Auszüge aus 40 Werk-und Komponistenporträts von der Renaissance bis ins 21. Jahrhundert vorstellen. Dazu heißt es in der Verlagswerbung: „Krieg ist offensichtlich ein Kontinuum der menschlichen Geschichte, immer jedoch begleitet von der Sehnsucht nach Frieden, die sich in vielfältiger Form artikuliert. Durch die Jahrhunderte trauerten auch die Komponisten in ihrer Musik um die Toten, drückten die Hoffnung auf Frieden aus, feierten Friedensschlüsse und entwarfen Bilder einer neuen Zukunft. Vertreten sind alle wichtigen musikalischen Gattungen von Oper und Oratorium, Symphonik und Konzert über Kammer-, Klavier- und Orgelmusik bis hin zu Chormusik und Sololied. Neben der musikalischen Gestaltung spielen historischer Hintergrund und politischer Kontext eine wichtige Rolle“.(09.02.2023)

Winterlesungen 2022

Leben & Überleben in schwieriger Zeit

Unter dem Titel Leben & Überleben in schwieriger Zeit werden auszugsweise zentrale Texte der europäischen Geistes- und Literaturgeschichte vorgetragen, die auf eindringliche und oft auch vergnügliche Weise vor Augen führen, dass die Menschen nicht erst seit der Corona-Pandemie über die großen Sinnfragen ihrer Existenz nachdenken. Die Vortragenden betonen dabei in ihrer unterschiedlichen Individualität und Herangehensweise die Unabschließbarkeit dieser Fragestellungen und ermuntern das Publikum zu dialogischer Teilhabe. Ziel dieser Veranstaltungsreihe ist es, durch ein Gespräch über Zeiten und Räume hinweg Kopf und Herz frei zu bekommen von ausschließlich tagesaktuellen Herausforderungen und mit frischem Mut ins eigene Leben zurück zu kehren.

 

Senecas De brevitate vitae

Von der Kürze des Lebens

Den Auftakt bildet ein Werk aus den Dialogen des römischen Philosophen und Staatsmannes Seneca (1-65 n.Chr.), in dem er nach den Konditionen einer richtigen Lebensführung fragt und die vermeintlichen, aber von vielen praktizierten Irrwege in kräftiger Sprache schildert. Eine schon von seinen Zeitgenossen bemerkte Brisanz gewinnt diese Darstellung aus der Diskrepanz zwischen dem propagierten Ideal der philosophischen Muße und der Lebensrealität Senecas, der u.a. als Erzieher des späteren Kaisers Nero einer der mächtigsten und reichsten Personen seiner Zeit war. Zugleich gewann Seneca durch seinen im stoischen Sinne beispielhaften Tod – eine durch ebenjenen Nero befohlene Selbsttötung – quasi posthum eine moralische Autorität, die wiederum seinen Schriften eine veritable Glaubwürdigkeit verschaffte. Gründe genug also für uns Heutige, über Anspruch und Einlösung unserer eigenen Lebensentwürfe zu diskutieren. Harald Kunde liest.(13.01.2022)

 

Giovanni Boccaccios Das Decamerone

Die sich in Mitteleuropa seit 1347 schnell ausbreitende Pest, der sogenannte Schwarze Tod, wurde schon von den Zeitgenossen als verheerendes Naturereignis und als das schlimmste Unheil seit der Sintflut angesehen, die jegliche Ordnung in Anarchie zerfallen ließ und der Mediziner wie Theologen hilflos gegenüberstanden. Die einzig erfolgversprechende Therapie schien die Flucht aus dichtbesiedelten Orten hinaus aufs Land zu sein. Genau dies nimmt Giovanni Boccaccio zum Ausgangspunkt seines vermutlich zwischen 1349 und 1351 entstandenen Decamerones. Zehn junge Adlige aus Florenz ziehen sich auf ein Landgut zurück, um sich in zehn Tagen je zehn Geschichten zu erzählen und so die Notzeit zu überbrücken. Sie erzählen sich witzige, bewegende und bildhafte erotische Geschichten, die das Werk schnell berühmt und auch berüchtigt gemacht haben. Ganz eigentlich verhandelt Boccaccio aber ein zutiefst moralisches Anliegen: Er schreibt über die Kunst des Lebens, die auch in unserer heutigen Zeit immer wieder neu zu verhandeln ist (Anne-Katrin Kunde).(20.01.2022)


Georg Büchner: Lenz

Die dritte Winterlesung widmet sich der Erzählung Lenz von Georg Büchner (1813-1837), die posthum erstmals 1839 erschien. Geschildert wird darin der zunehmend sich verschlechternde Geisteszustand des Sturm-und-Drang-Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), den wiederum Büchner als exemplarischen Fall eines umfassenden Welt-und Gottesverlustes begreift. Weder der väterliche Pfarrer Oberlin noch sein künstlerischer Gesprächspartner Christof Kaufmann können diesen Zerfallsprozess bei Lenz aufhalten; mit eindringlicher Präzision gestaltet Büchner dessen Etappen der Entfremdung und gibt damit ein frühes Beispiel psychologischer Krisenmomente der beginnenden Moderne. Gelesen wird dieser Grundlagentext von Ludger Kazmierczak, der als WDR-Journalist und renommierter Kommentator des Zeitgeschehens große Resonanz garantiert.(27.01.2022)

 

Gustave Flaubert: Die Versuchung des Heiligen Antonius

Dank einer komplizierten Entstehungsgeschichte veröffentlichte der französische Romancier Gustave Flaubert (1821-1880) diesen assoziationsgesättigten Text erst 1874 in dritter Fassung. Berichtet wird darin von den Visionen und Anfechtungen des Eremiten Antonius, der eine Nacht in der ägyptischen Wüste als dichte Abfolge historischer und mythologischer Erscheinungen durchlebt. Neben den naheliegenden Versuchungen durch Reichtum, Ruhm und sexuelle Begierden verfolgt ihn dabei insbesondere eine Parade der Religionen aller Zeiten und Völker, die seinen christlichen Glauben zutiefst erschüttert und ihn zuletzt mit der teuflischen Freiheit der Wissenschaft konfrontiert. Gelesen und kommentiert durch Werke der bildenden Kunst wird dieser Schlüsseltext des Symbolismus von Hubert Wanders, der dem Format der Winterlesungen erneut in produktivster Weise verbunden ist. (03.02.2022)

 

Voltaire: Candide oder der Optimismus

Die 1759 unter Pseudonym erschienene Novelle Candide oder der Optimismus des französischen Philosophen Voltaire (1694-1778) bildet den Abschluss der diesjährigen Winterlesungen im MKK. Geschildert wird darin die abenteuerliche Weltreise eines Helden aus dem herrlich friedlichen Westfalen, der sich vom gutgläubigen Optimisten zum erfahrungsgesättigten Skeptiker entwickelt. Gerichtet gegen die Leibniz‘sche Utopie von der besten aller möglichen Welten desillusioniert Voltaire seine Leserschaft mit Ironie und aufklärerischer Schärfe und führt sie zu der finalen Erkenntnis, dass sich die Gier und die Bösartigkeit der menschlichen Natur bestenfalls in der Bestellung eines eigenen Gärtchens befrieden lasse. Gelesen wird dieser vergnüglich-abgründige Text vom Präsidenten der Hochschule Rhein-Waal, Dr. Oliver Locker-Grütjen. (10.2.2022)

Foto (v.l.n.r.): Lesung 2022 - Versuchung des Hl. Antonius, Lesung 2022 - Lenz
Fotos: Lesung 2022 - Candide

Winterlesungen 2021

Terra Incognita – Reisen durch Raum & Zeit

 

Auf Weltreise mit Georg Forster (1754-1794)

Museumsdirektor Harald Kunde erläutert die Umstände und Hintergründe einer 3jährigen Entdeckungsreise, die Forster als ganz junger Mann an Bord eines Schiffes von Kapitän James Cook unternommen hat und über die er danach in einer europaweit gelesenen Publikation mit Illustrationen von eigener Hand berichtete. Georg Forster gilt als wichtiger, einem größeren Publikum aber noch immer nicht genügend vertrauter Schriftsteller und Forscher des 18. Jahrhunderts, der zum Wegbereiter der folgenden Entdeckungsreisen von Alexander Humboldt und Charles Darwin wurde. Darüber hinaus hat er später als Mitglied der Räterepublik in Mainz und als Abgeordneter zur Französischen Revolution eine entscheidende Rolle im politischen Leben seiner Zeit gespielt, deren nachhaltige Wirkung sein früher Tod verhindert hat. In der Sammlung des MKK befindet sich eine Arbeit von Lothar Baumgarten (1944-2018), die alle großen Reisen dieses Entdeckers und Revolutionärs aufzählt und ihm ein fortwirkendes Gedenken bereitet. Gelesen wird aus der illustrierten Prachtausgabe der Reihe Die andere Bibliothek (Harald Kunde).

(09.01.2021)

 

Der Alexanderroman als die Großerzählung des Mittelalters

Die Historikerin Anne-Katrin Kunde wird dem Publikum das am weitesten verbreitete Buch der Vormoderne nach der Bibel und die erste „Großerzählung“ der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters mit nicht-biblischem Inhalt vorstellen. Alexander der Große (356-323 v.Chr.) ist im Mittelalter durch seine Erwähnung in der Bibel (I Mcc 1,1-8) eine wichtige Figur der Welt- und Heilsgeschichte. Er wurde wegen seiner sagenhaft-phantastischen Taten als Idealbild des höfischen Ritters und vorbildlicher Herrscher bewundert, aber auch wegen seiner Maßlosigkeit und Grausamkeit kritisiert und abgelehnt. Das Heldenleben dieses Welteroberers barg mit Alexanders geheimnisvoller Abstammung, seinen weitläufigen Kriegszügen, zahlreichen Schlachten und Eroberungen, die ihn bis an das Ende der Welt führten und selbst vor dem Land der Seligen nicht Halt machen ließen, für ein adliges Laienpublikum dieser Zeit Erzählstoff in Hülle und Fülle. In den Zauber dieser Welt soll der heutige Zuhörer anhand einiger Episoden (und Illustrationen aus mittelalterlichen Handschriften) auf Textgrundlage des Alexanderromans des sogenannten Pfaffen Lambrecht (um 1150) entführt werden (Anne-Katrin Kunde).

(16. 01.2020)

 

Im Elefantenlokomobil durch Nordindien

Seit etwa 4000 Jahren gehören Kriegs-, Jagd- und Prunkelefanten zur Kultur Indiens. Was liegt da näher, als Nordindien mit einem Elefanten zu bereisen. Fasziniert vom Exotismus einer solchen Reise und technischen Utopien entwarf Jules Verne (1828-1905) seinen Roman La Maison à Vapeur, der vom 1.12.1879 bis zum 15.12.1880 im Magasin d'éducation et de récréation, dann als Buch und ein Jahr später erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel Das Dampfhaus erschien. Ein Ingenieur konstruiert für einen indischen Maharadscha einen stählernen Elefanten, der durch eine Dampfmaschine in Bewegung versetzt wird und zwei mobile Häuser zieht. Mitdiesem utopischen Gefährt durchquert er Nordindien, begegnet dort besessenen Jägern, die unermüdlich Trophäen erlegen, erfolgreichen Tierfängern, die mit exotischen Tieren für europäische Menagerien handeln, und verbitterten Kämpfern aus der britischen Kolonialzeit, die nach Rache für erlittene Schmach streben. Der Kunstfreund Hubert Wanders liest Passagen aus dieser Reisebeschreibung und skizziert ein Bild des19. Jahrhunderts, das von kolonialem Machtstreben, Faszination des Exotischen und revolutionärem technischem Fortschritt geprägt wurde. Durch dampfbetriebene Eisenbahnen und Schiffe schmolzen Entfernungen. Zeitschriften und Bücher erzielten hohe Auflagen und erreichten ein breit gefächertes Publikum. Menagerien, Zoos, Völkerschauen und Weltausstellungen entwickelten sich zum Massenspektakel der großen Städte. Und heute? Jules Vernes Vision ist – wenn auch nicht in Form eines Elefanten – im heutigen Wohnmobil Realität geworden. Auch digital gesteuerte, lebensgroße stählerne Elefanten begegnen uns in Theater-Events, Computerspielen und architektonischen Visionen.(Hubert Wanders)

(23.01.2020)

 

Das „Schilder-Boek“ von Karel van Mander (1548-1606)

Bei ihrer Lesung nimmt Kunsthistorikerin Valentina Vlašić die Zuhörer*innen mit auf eine Reise in das 16. und frühe 17. Jahrhundert. Sie liest Passagen aus dem berühmten „Schilder-Boek“ von Karel van Mander (1548-1606), das 1604 als erste kunsttheoretische Schrift nördlich der Alpen erschienen ist und neben italienischen auch erstmals überhaupt die Viten und Werke berühmter niederländischer und deutscher Künstler behandelt. Geboren wurde Karel van Mander in Meulebeke, Flandern. Sein Vater, Cornelis van Mander, war adeliger Abstammung, und seine Mutter Johanna van der Beke besaß Vermögen. Van Mander erhielt eine gute Ausbildung und studierte u.a. in Gent. Selbst eingangs als nicht untalentierter Zeichner und Maler tätig, eignete er sich das Wissen über zeitgenössische Maler und Bildhauer auf seinen mehrjährigen Reisen durch Europa an. In den 1570er Jahren kam er u.a. nach Florenz, Terni und Rom, wo er von den Werken alter Meister begeistert war. Über Basel, Krems, Wien (wo er u.a. den von Künstlern am Prager Hof geprägten Manierismus kennen und schätzen lernte), Nürnberg und Brügge kam er schließlich nach Haarlem, wo er zwanzig Jahre lebte und in den 1580er Jahren zusammen mit Hendrick Goltzius und Cornelis van Haarlem die sogenannte „Haarlemer Akademie“ gründete. Sein „Schilder-Boek“ bildet sein literarisches Hauptwerk, das bis heute zu den wichtigsten zeitgenössischen Quellen zur niederländischen Malerei um 1600 zählt. Valentina Vlašić wird aus einem Faksimile und einer Übersetzung lesen und ein kostbares Originalexemplar mit originalen Kupferstichen bereitstellen, das durch Besucher*innen vor und nach der Lesung begutachtet werden kann.

(30. 01.2020)

 

Herz der Finsternis (1899)

Die Künstlerin Talisa Lallai - Preisträgerin des Werner Deutsch Preises 2018 - untersucht wie im Westen das Exotische konstruiert wird. Sie interessiert sich für historische Reiseerzählungen wie die Berichte von Alexander von Humboldt, Drucke, Abenteuerromane oder aber auch gefundene Dokumente wie Dias und Fotografien, die sie in ihre Installationen integriert. Für die Serie Terra Incognita im Museum Kurhaus Kleve hat sich Talisa Lallai den „Klassiker“ Herz der Finsternis von Joseph Conrad ausgesucht. Das Buch erzählt von den Abenteuern im damaligen Belgisch-Kongo, die Conrad aus eigener Erfahrung kannte. Während es einerseits die Praxis der Kolonialpolitik kritisch beleuchtet, ist die Erzählung selbst nicht frei von Vorurteilen. In der Postmoderne wurde es zu einem Referenzwerk in Diskussionen über Imperialismus, Modernismus, und Zivilisation. Es beeinflusste unter anderem die Werke von T. S. Eliot, Ernst Hemingway, Orson Welles und Francis Ford Coppola. Talisa Lallai wird Passagen aus dem Buch vorlesen, die in einer Diskussion mit der Kuratorin Susanne Figner in einen Bezug zur postmodernen und zeitgenössischen Kunst gestellt werden.

(04.02.2021)