Auf den zweiten Blick 1.1

Thomas Schütte - Großer Geist Nr. 7, 1997

Die 250 cm hohe und 500 kg schwere Skulptur aus CorTen-Stahl steht seit 1997 im Museum Kurhaus Kleve. Zunächst war sie eine Leihgabe aus der Sammlung Ackermans (1997 - 2001), dann konnte der Große Geist für das Museum erworben werden.

Thomas Schütte entschied sich für die Position in einer Blickachse mit der barocken Skulptur der Minerva oder Pallas Athene (1660) des Artus Quellinus d. Ä., die am gegenüberliegenden Ende der Säulengalerie aufgestellt ist. Diese steht ganz gelassen im klassischen Kontrapost da, während sich Schüttes Männerfigur bis zur Lächerlichkeit aufplustert und allen traditionellen Eigenschaften für Skulptur an Haltung und Statik widersetzt. (MKK)

>> MKK - Digitale Sammlung
Über den Künstler Thomas Schütte (*1954)

Das ist das Privileg von Kunst, dass man etwas verbessern kann und erfinden darf, so umschreibt der 1954 geborene Künstler die Chancen der Kunst. Er hat sich in seiner künstlerischen Arbeit schon früh auch mit Architekturmodellen auseinandergesetzt und dem mit der Gestaltung eines eigenen Museums auf der Museumsinsel Hombroich einen besonderen Höhepunkt gegeben.

 

>> Sonntagsmatinée in Kleve: Thomas Schütte – Ich bin nicht allein, Dokumentarfilm 2023

Dieser in 2023 veröffentlichte Dokumentarfilm zeigt Eindrücke der künstlerischen Denk- und Arbeitsweise von Thomas Schütte, dessen monumentale Plastiken weltweit bekannt sind. Seine beeindruckene Skulptur Großer Geist ist seit der Eröffnung des Museum Kurhaus Kleve in 1997 im Innenhof des Museum zu sehen. Der Freundeskreis Klever Museen lädt gemeinsam mit den Tichelpark Cinemas in das Klever Kino ein (12.11.2023.

>> Website des Künstlers Thomas Schütte, 2023

 

>> Website der Stiftung Thomas Schütte mit dem Ausstellungsprogramm der Skulpturenhalle Neuss

 

>> FILM -Thomas Schütte - Eigenes Museum auf Museumsinsel, WDR - Lokalzeit Düsseldorf - 4:26 min
So entstanden die Großen Geister

Dicke Wülste bilden Wangen oder Beine der Figur. Sie entstanden im Herstellungsprozess: Aus Wachsschnüren formte der Künstler kleine, ca. 45 cm hohe Modelle seiner Geister, die anschließend zu gewichtigen, übergroßen Skulpturen aufgeblasen, in Aluminium gegossen und spiegelnd poliert oder wie hier in CorTen-Stahl geformt wurden.

>> Die erste Version - Thomas Schütte - Große Geist Nr.1, 1995

 

Der Künstler hat die Großen Geister durchnummeriert von Großer Geist Nr.1 bis Großer Geist Nr.17. Viele dieser Versionen gibt es auch in unterschiedlichen Material-Versionen: geformt in CorTen-Stahl oder gegossen in Aluminium bzw. Bronze.

Die unterschiedlichen Oberflächen - mal spiegelnd poliert, mal patiniert, lackiert oder im Edelrost - vbestimmen die Wirkung der Großen Geister.

>> Übersicht zu 48 verschiedenen Ausführungen - Thomas Schütte - Große Geister, 1995-2004

 

Den Großen Geist Nr.7 aus dem Museum Kurhaus (CorTen-Stahl) hat Thomas Schütte auch in anderen Materialien gießen lassen, z. B. in Aluminium mit spiegelnder Oberfläche oder patinierter Bronze.

>> Version in Aluminium - Thomas Schütte - Großer Geist Nr.7, 1996 Paris Centre Pompidou

 

>> Version in patinierter Bronze - Thomas Schütte - Großer Geist Nr.7, 2006

 

Die Herstellung dieser Skulpturen ist ein langwieriger Prozess, der vom kleinen Modell des Künstlers über das vielfache Vergrößern bis zum Gießen der großen Skulpturen in spezialisierten Kunstgießereien reicht und durch die aufwendige Oberflächenbehandlung in spezialisierten Werkstätten (spiegelnd polieren, patinieren, lackieren oder mit Edelrost versehen) abgeschlossen wird.

>> Eindrücke vom Gießen der Skulpturen in der Kunstgießerei Kaysers / Düsseldorf (Blog Lust-auf-Duesseldorf)

 

>> Bilder verschiedener Arbeitszustände (Schweißen, Schleifen etc.) in der Metallwerkstatt Safranek / Viersen

 

Die Schlagzeile Schütte-Skulptur wird versehentlich Kopf abgetrennt zeigt, wie aufwendig bei Ausstellungsprojekten Transport, Aufbau und Abbau der übergroßen Skulpturen sind.

>> Schütte-Skulptur wird versehentlich Kopf abgetrennt (2016-02-18 Monopol-Magazin)
Große Geister und der umgebende Raum

Zwischen Wald und den hohen Wänden des Kurhauses steht diese große Skulptur genau in der Mittelachse der Säulenhalle des Museums.

Dort nimmt der Große Geist zum einen den Raum zwischen der Natur des Berghanges direkt hinter dem Museum, der in der Eiszeit entstand, und der von Menschen geschaffenen klassizistischen Architektur des alten Kurhotels aus dem 19.Jahrhundert ein. Er steht in der Schlucht, die beide bilden.

Zum anderen positioniert Thomas Schütte seinen Großen Geist Nr.7 genau in der Sichtachse zur Skulptur der griechischen Göttin Minerva auf der anderen Seite der Säulenhalle. Dort eine barocke Marmor-Skulptur in der klassischen Haltung des Kontrapostes und hier die aufgeblasenene Figur des Großen Geistes.

Thomas Schütte setzt bewußt Bezüge zum Raum, der seine Großen Geister umgibt: mal stehen sie in der Natur, mal in geschlossenen Räumen. Beispielsweise inszenierte Schütte auf einer Tour durch die Schweiz vier von diesen übergroßen Figuren in dinem Genfer Park und anschließend in der Fondation Beyerle bei Basel.

>> Begehbare Installation in einem Park - Thomas Schütte - Vier Große Geister / Genf (2013-10-11 Tageswoche)

 

Noch größere Gruppen dieser übergroßen Skulpturen inszenierte Thomas Schütte im Münchener Haus der Kunst und in anderen Ausstellungen, in denen diese Großen Geister miteinander und mit dem Betrachter kommunizieren.

>> Skulpturen im Innenraum - Thomas Schütte - Große Geister, Haus der Kunst München

 

>> Große Figurengruppen - Thomas Schütte - Große Geister, 1995-2004, Abbildungen 38-48
Der Dialog mit dem Betrachter

Der Große Geist Nr.7 kommuniziert auf ganz besondere Weise mit dem Betrachter, der mit ihm auf gleicher Höhe steht. Er scheint auf den Betrachter zulaufen zu wollen. Der Besucher muss zu ihm aufschauen. Das Gefühl wechselt zwischen der Bedrohung durch die Größe des Riesenhaften und der Lächerlichkeit durch die Form.

>> Thomas Schütte - Großer Geist Nr.7, 1997

 

Durch die rostbraune Oberfläche des CorTen, die sich harmonoisch in die Farben des Waldes einfügt, lassen sich im Kopf des Betrachters  Assoziationen zu  Waldgeistern entwickeln. Was wäre, wenn hier der Große Geist in der Aluminium-Version mit spiegelnder Oberfläche stünde?

Gullivers Reisen nach Liliput und Brobdingnag

Die Riesen, von denen Jonathan Swift 1726 in seinem Roman Gullivers Reisen zu mehreren Völkern der Welt erzählt, könnten Thomas Schütte ebenfalls zu seinen Großen Geistern angeregt haben:

  • In Liliput sind alle Bewohner winzig und Gulliver ist für sie der Riese.
  • In Brobdingnag sind alle Bewohner Riesen und Gulliver ist für dort der Winzling.
>> AUDIO - Jonathan Swift: Reise nach Liliput (gelesen von Stefan Kaminski, youtube, 1:17:35 Stunde)

 

>> AUDIO - Jonathan Swift: Reise nach Brobdingnag (gelesen von Stefan Kaminski, youtube, 59:15 min)

 

>> Illustration (1803) von James Gillray zur Reise nach Brobdingnag (Staatsgalerie Stutgart)

 

>> Illustrationen von Robert Ingpen zur Reise nach Lilipit und Brobdingnag (Knesebeck-Verlag)
Der Michelin-Mann

Und nicht zuletzt erinnert der Große Geist auch an den Michelin-Mann aus der Werbung des französischen Reifenherstellers, der 2018 zum Icon of the Millennium gekürt wurde. Ein kurzer Film zeigt in abwechslungsreicher Folge Beispiele zur Entwicklung des bekannten Firmensymbols aus den letzten 100 Jahren.

>> FILM - Hundert Jahre Michelin-Figur - Michelin Man Story (2:04 min)

 

Alles ist relativ – Das Riesige und das Winzige

Damit spielt Kunst, z.B. in den hyperrealistisch gestalteten, überlebensgroßen Skulpturen von Ron Mueck, die den Betrachter in den Bann ziehen:

Ein riesiger hockender Junge zwängt sich im Museum Aros (Aarhus / DK) in einen verspiegelten Raum.

>> Ron Mueck - Boy, 1999 (Museum Aros / DK)

Ein altes Paar unter dem Sonnenschirm wird im Museum Voorlinden (Wassenaar/NL) umgeben von staunenden Besuchern, die gebannt auf riesige Zehen und Haarwurzeln schauen. Der Betrachter steht in Lebensgröße neben diesen riesigen Figuren und wirkt / fühlt sich wie ein Winzling.

>> Ron Mueck -  Couple under an Umbrella / Paar unter einem Sonnenschirm, 2013 (Museum Voorlinden / NL)

Geht man in Voorlinden um die Ecke, wird man selbst zum Riesen, der vor den winzigen Aufzugstüren der Installation von Maurizio Cattelans steht.

>> Maurizio Cattelans - miniliftjes, (Museum Voorlinden / NL)